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Funde

Geschichte der Orgel Caspar Sperling

CASPAR SPERLING
ein Orgelbauer, "dessengleichen nicht leicht zu finden"
von Erhard Micklisch
Dieser Beitrag erschien im "Zerbster Heimatkalender 2005", Hrsg. Zerbster Heimatverein, Zerbst, 2004
Aus Urheberrechtsgründen können leider nicht alle Abbildungen ins Internet gestellt werden.



Ein archivalischer Zufallsfund und seine Folgen

Anfang März des Jahres 1744 musste in der Kämmerei des kleinen Fürstentums Anhalt-Zerbst über die Verwendung von Materialien entschieden werden, "so zu einer Orgel in der neu erbaueten Waysen Kirche bestimmt gewesen und bißher einige Jahre in hiesigem Hochfürstlichen Bau Hofe gelegen haben", sowie einige weitere, die von dem verstorbenen Organisten Ulich in einer Kiste aufbewahrt worden waren. Es handelte sich dabei um dreiundsiebzig Pfund Zinn, ein Postament "zu denen Clavity",1 zwei durch Regeneinwirkung schadhaft gewordene Windladen, etwa 50 Zapfen für Wellenbretter, eine Lade zum Gießen von zinnernen Orgelpfeifen, einen hölzernen Aufsatz für eine Schnarrpfeife und zwei weitere Windladen, "die von gutem alten tüchtigen Eichen Bottig Holz neu gemachet worden".

Den Auftrag zum Bau dieses Instruments hatte im Mai 1737 der Rostocker Orgelbauer Caspar Sperling erhalten. Noch im gleichen Jahr waren ihm insgesamt 150 Reichstaler als Vorschuss zum Kauf benötigter Materialien ausgezahlt worden. Die Gerätschaften hatte er  vermutlich bei seinem letzten Aufenthalt in Zerbst hinterlassen, nicht ahnend, dass es ihm bald nicht mehr möglich sein würde, davon Gebrauch zu machen. Ab 1741 verliert sich hier seine Spur.

Was man mit dieser mobilen Hinterlassenschaft Sperlings angefangen hat, ist nur zum Teil bekannt. Für das Metall gab es auf den zahlreichen Baustellen des fürstlichen Hauses so viele Verwendungsmöglichkeiten, dass sich eine entsprechende Aktennotiz erübrigte. Die handwerklichen Utensilien aber wurden zum Verkauf an interessierte "Orgel Macher" freigegeben. Die Erwerber hatten lediglich den Wert des Holzes zu begleichen, "weil keiner dem anderen gerne nacharbeitet und sonsten ist es niemandem nichts nütze". So dürfte es nicht lange gedauert haben, bis diese Überbleibsel in alle Winde zerstreut waren.

Beim Lesen dieser Archivalien der Abteilung Dessau des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt ist mir einmal mehr bewusst geworden, wie erschreckend wenig wir im Grunde genommen von einem Mann wissen, der 1697/98 als Gehilfe des Orgelbauers Christian Vogel aus Halberstadt am Bau der Orgel von St. Bartholomäi mitgewirkt und schließlich zwischen 1712 und 1719 die Orgel der schönen Zerbster Schlosskapelle geschaffen hat.

Dass er aus Quedlinburg gekommen war, konnte man vielfach vernehmen, aber ob er dort auch wirklich das Licht der Welt erblickt, wann und wo er seine Augen für immer geschlossen hat, vermochte ich nirgends zu erfahren. Freilich ermöglicht das als gesichert Geltende in bescheidenem Maße Rückschlüsse auf uns bisher noch nicht Bekanntes. So zum Beispiel die Überlegung, dass er 1697 wohl kaum schon Adjunkt
2 eines Orgelbaumeisters gewesen sein könnte, wenn er zu diesem Zeitpunkt weniger als zwanzig bis fünfundzwanzig Lenze gezählt hätte. Demnach müsste er also zwischen 1672 und 1677 geboren worden sein, möglicherweise sogar noch etwas früher. Das wiederum schließt aus, dass Caspar Sperling ein Schüler des 1683 geborenen großen Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann gewesen ist, eine Vermutung, die Reinhold Specht in seiner zweibändigen Chronik von Zerbst wiedergibt. Und schließlich veranlasst das Datum der eingangs erwähnten Aktennotiz durchaus zum Nachdenken über das Jahr des Todes von Caspar Sperling.

Um mehr über Leben und Werk dieses Mannes zu erfahren, suchte und fand ich Hilfe im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Herrn Dr. Holger Brülls verdanke ich den Zugang zu mir bisher unbekannter diesbezüglicher Fachliteratur. An Schärfe gewinnt das Bild des Orgelbauers in erster Linie beim Lesen eines Artikels von Walter Haacke aus Köln in "THE ORGAN YEARBOOK" , Heft 6/1975, vor allem hinsichtlich der handwerklich-künstlerischen Leistung Caspar Sperlings. Über den Menschen wird einem allerdings wenig Neues kund. So, dass sein Vater, Nicolaus Sperling, beim Orgelbauer Nothnagel in Quedlinburg gelernt haben soll. Das bekräftigt die Vermutung, Caspar sei in dieser Stadt geboren worden. Der Autor glaubt, das Geburtsjahr müsse vor 1675 zu suchen sein. Doch vermag er keinen entsprechenden Nachweis zu führen. Als Todesjahr hält er 1743 für gesichert.

In den folgenden beiden Abschnitten stütze ich mich in erster Linie auf die von Haacke zusammengestellte Werktabelle, lasse aber zweitrangige Arbeiten wie Reparaturen und Voranschläge außen vor. Zu beachten ist, dass sich die  territorialen Wirkungsbereiche Sperlings zeitweilig überlappen.


Wie er sich eine Existenzgrundlage schuf und wo er auf Dauer blieb

Es muss den jungen Orgelbauer schon bald nach seiner ersten Tätigkeit in Zerbst nach Rostock verschlagen haben. Dort baut er zwischen 1700 und 1706 für St. Nicolai eine Orgel, die ihm großes Lob und viel Anerkennung einbringt, sicherlich aber auch so manchen neuen Auftrag. In den folgenden drei Jahren erwirbt er das Bürgerrecht, und fortan arbeitet er in mehr oder weniger großen Abständen sowie mit unterschiedlichen Aufträgen auch an St. Johannis, St. Marien und St. Petri, den drei anderen Hauptkirchen der Hansestadt. Im Jahre 1718 wird er von ihrem Rat sogar mit der Aufsicht über alle Orgeln der genannten Kirchen betraut, ein Amt, das er bis zu seinem Tode getreulich ausgeübt hat.

Sein Tätigkeitsfeld reicht jedoch weit über die Stadt hinaus. So baut er in dieser Zeit für die Stadtkirche von Plau und die Dorfkirche in Wustrow neue Orgeln. Schließlich holt man Sperling sogar über die Grenzen von Mecklenburg hinweg nach Hamburg, wo die Orgel von St. Petri umgebaut werden muss. Das gelingt ihm so gut, dass der das Instrument prüfende und schließlich übernehmende Organist Preus des Lobes voll ist. Aus dessen Munde stammt das schräg geschriebene Attribut in der Überschrift dieses Beitrags.

Es spricht für das Können und den Ruf Caspar Sperlings, dass er Mitarbeiter hat wie Johann Wilhelm Gloger und Christian Ordtmann sowie dass in seiner Werkstatt der Lehrling Paul Schmidt ausgebildet wird. Ihre Namen bekommen im Verlauf der weiteren Geschichte des norddeutschen Orgelbaus ebenfalls einen guten Klang. So wundert es nicht, dass ihr Meister schon zu Lebzeiten hier und dort als Vater des mecklenburgischen Orgelbaus bezeichnet wird.


Das Wirken des Meisters in seiner alten Heimat

Zwischen 1702 und 1721 baut Caspar Sperling im nördlichen Vorland des Harzes neue Orgeln für St. Ägidien und St. Blasien in Quedlinburg sowie für die Marktkirche in Goslar. In der Kirche des nur wenige Kilometer nordöstlich von Quedlinburg gelegenen Dorfes Ditfurt setzt er die vorhandene Orgel so gut um, dass er nach deren Überprüfung durch zwei Organisten aus Magdeburg über das vereinbarte Honorar hinaus 30 Reichstaler zusätzlich erhält. Die Orgel von St. Ägidien in Quedlinburg wird von einem Experten und dem Organisten Gleim einen Tag lang sorgfältig geprüft und schließlich in allen Stücken als gut und wohlklingend befunden. Auch die Orgel der Marktkirche zu Goslar findet allgemeine Anerkennung, hervorgehoben wird ihr starker, durchdringender Klang.

Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Goslar suchte Sperling in Zellerfeld die Kirche St. Salvatoris auf, um deren von vielen gepriesene Orgel in Augenschein zu nehmen. Einen Zeitzeugen, der später über ein bei dieser Gelegenheit geführtes Gespräch berichtet hat, beeindruckte es, dass "ein perfecter Orgelbauer desjenigen Arbeit rühmet  den er jedoch nimmer gesehen noch gesprochen hat". Darin kommt nicht nur ein angenehmer Charakterzug Sperlings zum Ausdruck, sondern auch sein Bedürfnis, ständig zu lernen und sein Können zu vervollkommnen.  Erst später erfuhr er, dass die erwähnte Orgel von keinem anderen als Arp Schnitger (1648-1719) gebaut worden war, der als der bedeutendste Orgelbauer Norddeutschlands gilt und dessen Orgeln viele für besonders geeignet halten zur Wiedergabe der Werke von Johann Sebastian Bach. Walter Haacke ist davon überzeugt, dass es Sperling während seiner Tätigkeit in Hamburg nicht versäumt hat, dort den Spuren Schnitgers nachzugehen und sich mit dessen Bauweise gründlicher vertraut zu machen.


Eigenschöpferisches Wirken im Fürstentum zwischen Elbe und Fläming
Gelegenheit zu einer ersten selbstständigen Arbeit in Zerbst erhält Caspar Sperling erst dreizehn Jahre nach seiner vormaligen Rolle als Mitarbeiter des Orgelbaumeisters Vogel. Die lange Pause erklärt sich nicht etwa aus dem Umstand, dass man ihn am Hofe aus dem Auge verloren hätte, sondern daraus, dass in der Zwischenzeit emsig an einem neuen Flügel des fürstlichen Schlosses gebaut wurde, in dem auch eine Kapelle entstehen sollte. An die Vergabe eines Auftrags zum Bau einer Orgel entsprechender Größe konnte freilich erst nach Fertigstellung des Rohbaus gedacht werden.

Nachdem einige spezielle Wünsche von Hofmusikus Ulich berücksichtigt worden waren, entschied man sich am 18. Juli 1712 ohne langes Zögern für das Angebot  Sperlings. "Vor alles" sollte er nach und nach achthundert Reichstaler bekommen. Dafür hatte er "alles anzurichten, im Stand zu setzen und zu liefern, wie es von einem verständigen und wohlerfahrnen und guten Orgelbauer nun immer erfordert werden möchte".

Nach fünfjähriger Arbeit wurde die ursprüngliche Disposition noch um eine Quintadena
3 von 16 Fuß erweitert. Rechtzeitig vor der Einweihung der Kapelle im Jahre 1719 konnten sich die Gutachter Johann Baptist Kuch und Johann Ulich davon überzeugen, dass Sperling Wort gehalten und "ein wohlklingendes dauerhaftes und gutes Orgelwerk" geschaffen  hatte.

Ehe sich der Meister neuen Aufgaben zuwandte, verpflichtete er sich, das Instrument lediglich gegen Erstattung der Reise- und Zehrungskosten zu reparieren, "Imfall an diesem Orgelwerke binnen Jahr und Tag etwas wandelbar ... seyn möchte". Ein an den Fürsten gerichteter Brief des Hofmusikus und Organisten Johann Georg Röllig vom 27. April 1744 spricht für die Qualität der damals von Sperling und seinen Leuten geleisteten Arbeit. Zur Bekräftigung seiner Bitte, die Orgel in der Schlosskapelle überholen zu lassen, verweist Röllig darauf, dass sie "seit 25 Jahren nicht einmal repariret worden".


Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war Caspar Sperling, abgesehen von seinem Wirken in Rostock, fast ausschließlich im Fürstentum Anhalt-Zerbst tätig. Der womöglich erste Auftrag verpflichtete ihn zum Bau einer Orgel für die Kapelle des nordwestlich von Zerbst in Elbnähe gelegenen Lustschlosses Friederikenberg. Wie Reinhold Specht berichtet, lag ihr eine Disposition von Johann Ulich in Zerbst zugrunde. Demnach hatte sie zehn Register und zwei Bälge. Sie dürfte spätestens 1734 fertig geworden sein, dem Jahr, in dem der von Johann Christoph Schütze errichtete Friederikenberger Kirchenpavillon einen Altar erhielt.

Etwa zur gleichen Zeit hat Caspar Sperling, wie in einer Notiz der Rentkammer festgehalten, "die in der Coßwigl. Hochfürstl. Schloß=Kirche befindliche Orgel in guten Stand gesetzet". Auch daraus geht hervor, dass er damals mit Arbeitsaufträgen überhäuft war. Das machte es ihm zum Beispiel unmöglich, "die Stadt=Kirchen Orgel innerhalb Sechs Wochen ... zu repariren", wie ursprünglich vereinbart worden war.  Er bat darum, ihm diesen Auftrag nach seiner Rückkehr von Rostock zu überlassen, wo er bei der Arbeit an einer neuen Orgel für St. Petri dringend gebraucht wurde.


Schließlich finden wir den Orgelbaumeister unmittelbar an der Elbe, und zwar in Dornburg. Dort war seit 1731 der gesamte Schlossbereich auf Betreiben Christian Augusts von Anhalt-Zerbst  und seiner ehrgeizigen Gattin Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorp, den Eltern der späteren Zarin Katharina II., nach Plänen des Zerbster Hofbaumeisters Johann Christoph Schütze neu gestaltet worden. Dabei wurde das vormalige bescheidene Renaissanceschlösschen zu einer nach Osten offenen barocken Dreiflügelanlage umgebaut.

Der Ausbau des Kirchflügels war 1734 so weit gediehen, dass der Auftrag zur Anfertigung und Aufstellung des Altars einschließlich der Kanzel und des Orgelgehäuses erteilt werden konnte. Er fiel an den Hoftischlermeister Christian Oelschläger. Den Zerbster Kammerrechnungen ist zu entnehmen, dass Meister Sperling ab 1735 mit dem Aufbau der Orgel befasst war und dass ihm "zur Erfüllung" am 5. Januar 1737 ein Restbetrag ausgezahlt worden ist. Der Schreiber merkte an, dass "dieses Orgelwerck 340 Rthlr. in Summa" gekostet hat. Dabei sind jedoch Ausgaben für Vorarbeiten zum Bau des Orgelgehäuses nicht berücksichtigt, die auf dem fürstlichen Bauhof ausgeführt worden waren, ebenso wenig die für die Arbeit des Hoftischlermeisters an dem Gehäuse selbst.

Neun Monate später ließ der Landesfürst  innerhalb einer Woche "auf Friederikenberg die Kirche, und ... die Kirche zu Dornburg, durch den Ober=Hof=Prediger D. Töpfer mit einer Predigt einweihen".

Schon ein halbes Jahrzehnt danach scheint man sich im Schloss Christian Augusts mit dem Gedanken einer Erweiterung seiner Orgel getragen zu haben. Jedenfalls bemühte sich damals der Orgelbauer Johann Heinrich Habermaltz um einen solchen  Auftrag. Für die Verwirklichung seiner entsprechenden Vorschläge wollte er 32 Reichstaler haben. Jedoch konnte ich in einschlägigen Rechnungsbüchern weder seinen Namen noch einen auf einen solchen Vorgang bezogenen Ausgabevermerk entdecken. Doch findet sich 1741 in den  Dornburger Kirchenrechnungen ein Eintrag über zwölf Reichstaler für eine "Reparatur der Orgel" ohne Nennung eines Namens. Bedenkt man, wie Sperling über die Berechnung von Kosten für notwendig werdende Nachbesserungen an von ihm gebauten Orgeln dachte, könnte der niedrige Betrag durchaus auf ihn als Ausführenden verweisen. Dann wäre 1741 aber wohl auch das letzte Jahr der Anwesenheit des Meisters im Fürstentum Anhalt-Zerbst, also dort, wo einst sein Aufstieg begonnen hatte.


Spätestens an dieser Stelle ist es Zeit, an die eingangs geschilderte Begebenheit und daran zu erinnern, dass Sperling im Mai und Juli 1737  insgesamt 150 Reichstaler für den Bau einer Orgel in der neuen Kirche des Zerbster Waisenhauses bekommen hat. Die von den Kämmerern aufgelisteten diesbezüglichen Ausgaben enthalten keine weiteren Zahlungen für Caspar Sperling. Wenn zu dieser Zeit in der Waisenhauskirche Zerbst überhaupt ein solches Instrument entstanden ist, dürfte es also kaum von ihm vollendet worden sein.

In Rostock, so lese ich  nicht ohne Rührung  bei Haacke, unterschrieb er im Jahre 1742 "mit stark zitternder Hand" einen Kontrakt zur Reparatur einer Orgel der Pfarrkirche in Güstrow.


Zur Ergänzung der von Walter Haacke aufgestellten Werktabelle
Haakes Aufsatz über Sperling ist ein Ergebnis von mehr als vierzig Jahren mannigfacher Forschungsarbeit über den Orgelbau der Bach-Zeit im östlichen Teil von Norddeutschland, insbesondere von Mecklenburg. Er nennt den elf Seiten umfassenden Artikel "eine einstweilige, wiewohl lückenhafte Zusammenfassung". Er hoffte, bald noch mehr Nachrichten über diesen vortrefflichen Orgelbauer zu erhalten.

Vom Wirken Caspar Sperlings in Anhalt-Zerbst wusste der Kölner Autor zur Zeit der Niederschrift seiner Zeilen allerdings erstaunlich wenig. Die Orgel von St. Bartholomäi schreibt er ausschließlich Sperling zu, und vom Vorhandensein eines solchen Werkes in der Zerbster Schlosskapelle hatte er offensichtlich keine Kunde. Derartige Schwächen seiner Arbeit erklären sich wohl in erster Linie aus der territorialen Begrenztheit seines damaligen Forschungsgegenstandes, womöglich aber auch aus Schwierigkeiten, die solchen Studien aus der deutschen Teilung erwachsen waren.


Walter Haacke war sich durchaus dessen bewusst, dass Caspar Sperling weit mehr Orgeln gebaut bzw. umgebaut hat, als der Forscher erfahren konnte. Auch die hier dargelegten neueren Erkenntnisse über das Schaffen des Orgelbaumeisters im Gebiet zwischen Elbe und Fläming müssen noch nicht die letzten sein.

Wie aber steht es um die in dem Artikel geäußerte Befürchtung, dass "keine einzige Orgel Sperlings oder Teile davon" die Zeiten überstanden haben könnten?  Fast ist man geneigt, seine Besorgnis ohne Zögern zu teilen. Denn  auch im Bereich des ehemaligen Fürstentums Anhalt-Zerbst ist von unseren gemeinhin bekannten Orgeln Caspar Sperlings leider keine einzige übrig geblieben.

Die Sperling-Orgel vom Friederikenberg ist mit dem dortigen Schloss spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts verfallen. Die Orgel von St. Bartholomäi wurde nach 1899 durch eine neue ersetzt. Letzte "Hoffnungsträgerin" für die hiesigen Freunde der Orgeln von Caspar Sperling war die der Schlosskapelle, dem Zentrum höfischer Zerbster Kultur und Wirkungsstätte von Johann Friedrich Fasch. Noch im Jahre 1730 hatte sie Dr. Hinze in seinem Zerbster Museumsführer als "das älteste, noch spielbare Orgelwerk Anhalts" bezeichnet. Aber auch sie ist spätestens 1945 leider für immer verstummt. Eine vage Hoffnung, dass es bei uns ein bis dahin unbekanntes Überbleibsel aus dem Schaffen Caspar Sperlings geben könne, erwuchs 1997/98 aus Forschungen der Stengel Gesellschaft Dornburg / Anhalt-Zerbst e. V. zur Geschichte des Baues der jetzigen Dornburger Kirche.
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Wie Teile einer schon verloren geglaubten Sperling-Orgel erhalten blieben
Am 28. Juli 1750, dem Todestag von Johann Sebastian Bach, wurde das Dornburger Schütze-Schloss ein Raub der Flammen. Verschont blieb lediglich der Kirchflügel, doch nahm auch er infolge von Lösch- und Räumungsarbeiten nicht unerheblichen Schaden. Die Sperling-Orgel kam, wie aus den Akten ersichtlich, noch einigermaßen glimpflich davon.

Johanna Elisabeth, seit dem Tode von Christan August (1747) und bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Friedrich August Fürstregentin von Anhalt-Zerbst, gab bei dem aus Zerbst stammenden nassau-saarbrückischen Generalbaumeister Friedrich Joachim Stengel einen Schloss-Neubau in Auftrag. Der Kirchflügel blieb zunächst stehen, wurde aber nach Fertigstellung der separaten Kirche in der Dorfmitte und nach dem Ausbau wieder verwendbarer Materialien abgerissen. Dazu gehörten auch alle Teile der Orgel, die keinen ernsthaften Schaden genommen hatten. Sie wurden wie alles ansonsten noch Brauchbare in einem der Wirtschaftsgebäude des Schlossbereiches sicher gelagert.
Orgel


Die 1756 neu aufgebaute Dornnburger Orgel
Foto: E. Micklisch, 2004




Am 26. Juni 1756 verhandelten die Zerbster Hofkämmerer mit dem "Hof und Land Orgelbauer" Gottlieb Leuschner aus Dessau "wegen aufsetzung der Orgel in der neu erbaueten Kirche zu Dornburg". Leuschner verpflichtete sich schließlich, das Werk unter Nutzung noch brauchbarer Teile der Sperling-Orgel bis Ende September komplett wieder herzustellen. Für noch zu beschaffendes Material und seinen Arbeitsaufwand sollte er 85 Reichstaler erhalten.


Nachdem sich der Auftragnehmer unverzüglich vom Zustand der Überbleibsel ein Bild gemacht und seine Arbeit aufgenommen hatte, regte er in Zerbst an, das stark beschädigte Orgelgehäuse durch ein neues ersetzen  zu lassen. Der Auftrag dazu ging am 10. Juli an den Tischler Johann Georg Gauß. Zur gleichen Zeit schlug Leuschner der Fürstregentin brieflich vor, "bei Aufsetzung des alten Werks ... eine angenehme Trompeten Stimme" einzufügen, "weil vormahliger Orgelbauer Sperling noch darzu Plaz gelassen". Wie sie darauf reagiert hat, ist nicht belegt.

Knapp ein Vierteljahr später musste der Organist Heynicke von der Bartholomäi-Kirche das neu aufgesetzte Instrument in Augenschein nehmen. Er war mit dem Ergebnis des Umbaus zufrieden, bestand jedoch auf Abstellung einiger weniger bedeutsamer Mängel. Laut Zerbster Kammerrechnung 1756/57 sind Leuschner 85 Reichstaler und dem Tischler Gauß etwas mehr als 27 Reichstaler ausgezahlt worden.


Für die Zweitaufsetzung der Orgel mussten insgesamt also etwa 114 Reichstaler aufgebracht werden. Die geringe Höhe dieses Betrages sowie die kurze Dauer der Auftragserledigung lassen darauf schließen, dass es nicht erforderlich war, übermäßig viele Teile der "alten" Orgel zu ersetzen, die deutlich mehr als 400 Reichstaler gekostet haben dürfte.

Die umgesetzte Orgel scheint also im Kern doch ein Werk Sperlings geblieben zu sein. Was davon auch über die folgenden Zeiten hinweg erhalten worden ist, konnte nur durch einen Orgelexperten festgestellt werden.


Hoffnung auf eine Zukunft dieser Orgel

Inzwischen liegt das Gutachten eines Orgelsachverständigen vor, das auf Begehren der Dornburger Kirchengemeinde angefertigt worden ist. Darin bestätigt Herr Stefan Nusser, dass es sich in den ältesten Teilen des Werkes durchaus um eine Arbeit des Orgelbaumeisters Johann Caspar Sperling5 aus Rostock handelt.

Aus der Erbauungszeit stammen sehr wahrscheinlich die Manualwinde und die sie tragenden Hölzer, der größte Teil des darauf befindlichen Pfeifenwerks, die Ton- und Registermechanik, die aufrecht hinter den Registerzugstangen stehenden Wellen sowie Reste des ursprünglichen Gehäuses im rückwärtigen Bereich der Spielanlage. Insbesondere aus diesem Urbestand erwächst die hohe kulturgeschichtliche Bedeutung des Instruments, die sich aber auch aus ihrem gewachsenen Zustand ergibt.


Der Sachverständige hält eine Restaurierung für unerlässlich, die die historische Situation sorgfältig berücksichtigt Er rät, "den hauptsächlich aus dem 18. Jh. stammenden Teil des Orgelwerkes im Sinne der Zeit um 1750 zu rekonstruieren und die Pedalwindlade mit dem (der Größe des Kirchenraumes angemessenen) Register Subbaß 16 Fuß beizubehalten". Der Tonumfang des Instruments sollte dem ursprünglichen entsprechen, so dass "die Stimmtonhöhe wieder auf den historischen Chorton kommt".

In den Augen des Beurteilers ist die Dornburger Orgel "ein beachtenswertes Denkmal mitteldeutschen Orgelbaus", das unbedingt erhalten werden sollte. Der Kirchengemeinde legt er die sachgerechte Restaurierung ans Herz. Nachdrücklich empfiehlt er ihr, einen Antrag auf Finanzierung des Projekts zu stellen. Doch dürfte sie selbst bei Beteiligung aller Einwohner des 300-Seelen-Dorfes kaum im Stande sein, den dazu erforderlichen Eigenanteil aufzubringen. Nur wenn ihr von vielen Seiten wirksame Hilfe zuteil wird, ist zu hoffen, dass diese Orgel eines Tages wieder erklingt und dass jenen, die zum Zwecke ihrer Erschaffung und Erhaltung Hand angelegt haben, auf diese Weise in Mitteldeutschland ein Denkmal gesetzt wird, allen voran dem Orgelbaumeister Caspar Sperling.



Fußnoten
  1. Clavity: Klaviaturen  (Reihen von Tasten)
  2. Adjunkt: (über den anderen Gesellen stehender) Gehilfe seines  Meisters
  3. Quintadena: Reihe von Pfeifen in mittleren bis größeren Orgeln
  4. Für Anregungen, Hinweise und Zuarbeiten zum Thema schulde ich Dank Frau Oranna Dimmig sowie den Herren Dr. Johannes Kornow und Stefan Schüler von der Forschungsgruppe der Stengel Gesellschaft, ebenso aber den Stengel-Freunden Eva und Rolf Bröcker.                     
  5. Von seinem Vornamen   J o h a n n   hat Caspar Sperling kaum Gebrauch gemacht.
Quellenverzeichnis
Archiv der Kirchengemeinde Dornburg: Kirchen-Rechnung 1700 – 1800.
Haacke, Walter: Caspar Sperling, ein Orgelbauer in Norddeutschland zur Bach-Zeit. In: THE ORGAN YEARBOOK,  6/1975, S. 87 -  99.
Herrmann, Dirk: Schloss Zerbst in Anhalt, Geschichte und Beschreibung einer vernichteten Residenz. Halle, 1998.
Hinze, Dr.: Führer durch das Schloßmuseum in Zerbst. Dessau, 1930.
Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau:
- Kammer Zerbst: 2826, 3491 und 3495.
- Zerbster Kammerrechnungen: 1719/20 bis 1759/60 (Auswahl).
Lentz, Samuel: Historisch-Genealogische Fürstellung des Hochfürstlichen Hauses Anhalt ... , Cöthen und Dessau, 1757.                          
Lindner, Hartwig: Die Glocken sprangen stets im März oder April, in: Zerbster Volksstimme, 09.06.1996, Seite 11.
Specht, Reinhold:
- Geschichte der Stadt Zerbst, 2 Bände; Zerbst, 1998.
- Der Friederikenberg. In: Zerbster Jahrbuch (16), 1931, S. 23 – 33.
Wäschke, Hermann: Die Schlosskapelle in Zerbst, in: Zerbster Jahrbuch (4),1908, S. 1 – 5.

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