Dieser Beitrag erschien im
"Zerbster Heimatkalender 2005", Hrsg. Zerbster Heimatverein, Zerbst,
2004
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Ein archivalischer Zufallsfund und seine Folgen
Anfang März des Jahres 1744 musste in der
Kämmerei des kleinen Fürstentums Anhalt-Zerbst
über die Verwendung von Materialien entschieden werden, "so zu
einer Orgel in der neu erbaueten Waysen Kirche bestimmt gewesen und
bißher einige Jahre in hiesigem Hochfürstlichen Bau
Hofe gelegen haben", sowie einige weitere, die von dem verstorbenen
Organisten Ulich in einer Kiste aufbewahrt worden waren. Es handelte
sich dabei um dreiundsiebzig Pfund Zinn, ein Postament "zu denen
Clavity",1
zwei durch Regeneinwirkung schadhaft gewordene Windladen, etwa 50
Zapfen für Wellenbretter, eine Lade zum Gießen von
zinnernen Orgelpfeifen, einen hölzernen Aufsatz für
eine Schnarrpfeife und zwei weitere Windladen, "die von
gutem alten tüchtigen Eichen Bottig Holz neu gemachet worden".
Den Auftrag zum Bau dieses Instruments hatte
im Mai 1737 der Rostocker Orgelbauer Caspar Sperling erhalten. Noch im
gleichen Jahr waren ihm insgesamt 150 Reichstaler als Vorschuss zum
Kauf benötigter Materialien ausgezahlt worden. Die
Gerätschaften hatte er vermutlich bei seinem letzten
Aufenthalt in Zerbst hinterlassen,
nicht ahnend, dass es ihm bald nicht mehr möglich sein
würde,
davon Gebrauch zu machen. Ab 1741 verliert sich hier seine Spur.
Was man mit dieser mobilen Hinterlassenschaft Sperlings
angefangen hat, ist nur zum Teil bekannt. Für das Metall
gab es auf den zahlreichen Baustellen des fürstlichen Hauses
so viele Verwendungsmöglichkeiten, dass sich eine
entsprechende Aktennotiz erübrigte. Die handwerklichen
Utensilien aber wurden zum Verkauf an interessierte "Orgel Macher"
freigegeben. Die Erwerber hatten lediglich den Wert des Holzes zu
begleichen, "weil keiner dem anderen gerne nacharbeitet und sonsten ist
es niemandem nichts nütze". So dürfte es nicht lange
gedauert haben, bis diese Überbleibsel in alle Winde zerstreut
waren.
Beim Lesen dieser Archivalien der Abteilung
Dessau des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt ist mir einmal mehr
bewusst geworden, wie erschreckend wenig wir im Grunde genommen von
einem Mann wissen, der 1697/98 als Gehilfe des Orgelbauers Christian
Vogel aus Halberstadt am Bau der Orgel von St. Bartholomäi
mitgewirkt und schließlich zwischen 1712 und 1719 die Orgel
der schönen Zerbster Schlosskapelle geschaffen hat.
Dass er aus Quedlinburg gekommen war, konnte man
vielfach vernehmen, aber ob er dort auch wirklich das Licht der
Welt erblickt, wann und wo er seine Augen für immer
geschlossen
hat, vermochte ich nirgends zu erfahren. Freilich ermöglicht
das als gesichert Geltende in bescheidenem Maße
Rückschlüsse
auf uns bisher noch nicht Bekanntes. So zum Beispiel die
Überlegung,
dass er 1697 wohl kaum schon Adjunkt2
eines Orgelbaumeisters gewesen sein könnte, wenn er zu diesem
Zeitpunkt weniger als zwanzig bis fünfundzwanzig Lenze
gezählt hätte. Demnach müsste er also
zwischen 1672 und 1677 geboren worden sein, möglicherweise
sogar noch etwas früher. Das wiederum schließt aus,
dass Caspar Sperling ein Schüler des 1683 geborenen
großen Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann gewesen ist,
eine Vermutung, die Reinhold Specht in
seiner zweibändigen Chronik von Zerbst wiedergibt. Und
schließlich veranlasst das Datum der eingangs
erwähnten Aktennotiz durchaus
zum Nachdenken über das Jahr des Todes von Caspar Sperling.
Um mehr über Leben und Werk dieses Mannes zu
erfahren, suchte und fand ich Hilfe im Landesamt für
Denkmalpflege
und Archäologie Sachsen-Anhalt. Herrn Dr. Holger
Brülls
verdanke ich den Zugang zu mir bisher unbekannter
diesbezüglicher
Fachliteratur. An Schärfe gewinnt das Bild des Orgelbauers in
erster Linie beim Lesen eines Artikels von Walter Haacke aus
Köln
in "THE ORGAN YEARBOOK" , Heft 6/1975, vor allem hinsichtlich der
handwerklich-künstlerischen Leistung Caspar Sperlings.
Über den Menschen wird einem allerdings wenig Neues kund. So,
dass sein Vater, Nicolaus Sperling, beim Orgelbauer Nothnagel in
Quedlinburg gelernt haben soll. Das bekräftigt die Vermutung,
Caspar sei in dieser Stadt geboren worden. Der Autor glaubt, das
Geburtsjahr müsse vor 1675 zu suchen sein. Doch vermag er
keinen entsprechenden Nachweis zu führen. Als Todesjahr
hält er 1743 für gesichert.
In den folgenden beiden Abschnitten stütze ich mich in erster
Linie auf die von Haacke zusammengestellte Werktabelle, lasse aber
zweitrangige Arbeiten wie Reparaturen und Voranschläge
außen vor. Zu beachten ist, dass sich die
territorialen Wirkungsbereiche Sperlings zeitweilig überlappen.
Wie er sich eine Existenzgrundlage schuf und wo er auf Dauer blieb
Es muss den jungen Orgelbauer schon bald nach seiner ersten
Tätigkeit in Zerbst nach Rostock verschlagen haben.
Dort baut er zwischen 1700 und 1706 für St. Nicolai eine
Orgel,
die ihm großes Lob und viel Anerkennung einbringt, sicherlich
aber
auch so manchen neuen Auftrag. In den folgenden drei Jahren erwirbt er
das Bürgerrecht, und fortan arbeitet er in mehr oder weniger
großen Abständen sowie mit unterschiedlichen
Aufträgen auch an St. Johannis, St. Marien und St. Petri, den
drei anderen Hauptkirchen der Hansestadt. Im Jahre 1718 wird er von
ihrem Rat sogar mit der Aufsicht über alle Orgeln der
genannten Kirchen betraut, ein Amt, das er bis zu seinem Tode
getreulich ausgeübt hat.
Sein Tätigkeitsfeld reicht jedoch weit
über die Stadt hinaus. So baut er in dieser Zeit für
die Stadtkirche von Plau und die Dorfkirche in Wustrow neue Orgeln.
Schließlich holt man Sperling sogar über die Grenzen
von Mecklenburg hinweg nach Hamburg, wo die Orgel von St. Petri
umgebaut
werden muss. Das gelingt ihm so gut, dass der das Instrument
prüfende
und schließlich übernehmende Organist Preus des
Lobes voll
ist. Aus dessen Munde stammt das schräg geschriebene Attribut
in
der Überschrift dieses Beitrags.
Es spricht für das Können und den
Ruf Caspar Sperlings, dass er Mitarbeiter hat wie Johann Wilhelm
Gloger und Christian Ordtmann sowie dass in seiner Werkstatt der
Lehrling Paul Schmidt ausgebildet wird. Ihre Namen bekommen im Verlauf
der weiteren Geschichte des norddeutschen Orgelbaus ebenfalls einen
guten Klang. So wundert es nicht, dass ihr Meister schon zu Lebzeiten
hier und dort als Vater des mecklenburgischen Orgelbaus bezeichnet wird.
Das Wirken des Meisters in seiner alten Heimat
Zwischen 1702 und 1721 baut Caspar Sperling
im nördlichen Vorland des Harzes neue Orgeln für St.
Ägidien und St. Blasien in Quedlinburg sowie für die
Marktkirche in Goslar.
In der Kirche des nur wenige Kilometer nordöstlich von
Quedlinburg
gelegenen Dorfes Ditfurt setzt er die vorhandene Orgel so gut um, dass
er nach deren Überprüfung durch zwei Organisten aus
Magdeburg
über das vereinbarte Honorar hinaus 30 Reichstaler
zusätzlich erhält. Die Orgel von St. Ägidien
in Quedlinburg wird von
einem Experten und dem Organisten Gleim einen Tag lang
sorgfältig geprüft und schließlich in allen
Stücken als gut und wohlklingend befunden. Auch die Orgel der
Marktkirche zu Goslar findet allgemeine Anerkennung, hervorgehoben wird
ihr starker, durchdringender Klang.
Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Goslar suchte
Sperling in Zellerfeld die Kirche St. Salvatoris auf, um deren von
vielen gepriesene Orgel in Augenschein zu nehmen. Einen Zeitzeugen, der
später über ein bei dieser Gelegenheit
geführtes Gespräch berichtet hat, beeindruckte es,
dass "ein perfecter Orgelbauer desjenigen Arbeit
rühmet den er jedoch nimmer gesehen noch gesprochen
hat". Darin kommt nicht nur ein angenehmer Charakterzug Sperlings zum
Ausdruck, sondern auch sein Bedürfnis, ständig
zu lernen und sein Können zu vervollkommnen. Erst
später
erfuhr er, dass die erwähnte Orgel von keinem anderen als Arp
Schnitger (1648-1719) gebaut worden war, der als der bedeutendste
Orgelbauer Norddeutschlands gilt und dessen Orgeln viele für
besonders geeignet halten zur Wiedergabe der Werke von Johann Sebastian
Bach.
Walter Haacke ist davon überzeugt, dass es Sperling
während
seiner Tätigkeit in Hamburg nicht versäumt hat, dort
den
Spuren Schnitgers nachzugehen und sich mit dessen Bauweise
gründlicher
vertraut zu machen.
Eigenschöpferisches Wirken im
Fürstentum zwischen Elbe und Fläming
Gelegenheit zu einer ersten selbstständigen Arbeit
in Zerbst erhält Caspar Sperling erst dreizehn Jahre nach
seiner vormaligen Rolle als Mitarbeiter des Orgelbaumeisters Vogel.
Die lange Pause erklärt sich nicht etwa aus dem Umstand, dass
man ihn am Hofe aus dem Auge verloren hätte, sondern daraus,
dass in der Zwischenzeit emsig an einem neuen Flügel des
fürstlichen Schlosses gebaut wurde, in dem auch eine Kapelle
entstehen sollte.
An die Vergabe eines Auftrags zum Bau einer Orgel entsprechender
Größe konnte freilich erst nach Fertigstellung des
Rohbaus gedacht werden.