Der
Fund von Bauplänen des 18. Jahrhunderts für Schloss
Dornburg
G. K. Smirnov, Moskau
Die Zeichnungen des Dornburger Schlosses, die in der Graphischen
Sammlung der Westeuropa-Abteilung der Staatlichen Eremitage in St.
Petersburg
gefunden wurden, gehört zu den glücklichen
Entdeckungen, welche
die Arbeit eines Kunsthistorikers manchmal begleiten.
Ich beschäftige mich seit langem mit den Werken von Johann
Friedrich (Russ. Fjodor Fjodorowitsch) Stengel, und mir wurde bekannt,
dass in der oben genannten Sammlung der Eremitage der Aufriss der
Fassade
und Grundrisse des Gefängnisses von Twer mit der Unterschrift
von
Stengel vorhanden sind. Mit freundlicher Zustimmung der
zuständigen
Archivarin, Dr. Miliza Korschunowa, konnte ich diese Zeichnungen
ansehen
und meine frühere Vermutung (1) bestätigen, dass
dieses 1778-80
entstandene Gebäude tatsächlich zu den Werken von
Stengel gehört.
Weitere systematische Forschungen in der graphischen Sammlung der
Westeuropa-Abteilung der Eremitage ließen mich bei dieser
Gelegenheit
eine unerwartete Entdeckung machen. In einen prächtigen
Folianten
mit dem Titel "Die Zeichnungen gehörend zur Architektur"
gebunden
fanden sich die Zeichnungen des Dornburger Schlosses (2). Auf ihrem
ersten
Blatt ist mit Bleistift auf Französisch notiert: "Plans et
façades
et coupes d'églises et palais a S. Petersbourg et autre
lieux de
la Russie du temps de L'imperatrice Catherine II". In einer anderen
Handschrift
folgt: "d'Elisabeth I".
Die fünf Zeichnungen des Dornburger Schlosses - der Aufriss
von der Seite des Haupthofes und vier Grundrisse (Keller, Erdgeschoss,
1. und 2. Stockwerk) sind auf Papierbögen von fast gleicher
Größe ausgeführt. Ihre Länge
variiert zwischen 63,5 und 65,2 cm, die Breite zwischen 25,7 und 27,1
cm. Gemessen wurde dabei der dünne Strich, der das Bildfeld
jeder Zeichnung umrahmt. Die Zeichnungen sind mit schwarzer Tusche
ausgeführt. Der Aufriss ist laviert, die Wände der
Grundrisszeichnungen sind rosa gefärbt. Alle
Erläuterungen sind in französischer Sprache. Jede
Zeichnung hat oben einen Titel und unten einen Maßstab. 1
Zoll (?) entspricht 10 Fuß. Außerdem gibt es auf
der Zeichnung der Fassade unten und auf dem Grundrisszeichnungen auch
oben die Orientierungsüberschriften "vue du jardin" und "vue
de la cour et du nouveau jardin". Alle Räume auf den
Grundrissen sind nach ihrer Verwendung beschriftet: Bibliothek,
Arbeitszimmer, Galerie für das chinesische Porzellan usw. Das
kann ein wichtiger Hinweis für die Forschungsarbeiten im
Dornburger Schloss sein.
Leider haben die Zeichnungen kein Datum und keine Signatur. Ich
kann nur vorsichtig vermuten, dass sie um 1750 gefertigt wurden, das
heißt kurz vor dem Bau des Schlosses. Für die
Vermutung spricht die Wappenabbildung an der Fassade mit dem Monogramm
der Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, der Mutter
von Katharina II. Das kann bedeuten, dass die Zeichnungen zu ihrer
Lebenszeit entstanden, also bis 1760. Die graphischen Besonderheiten
der Zeichnungen und der Überschriften widersprechen dieser
Vermutung nicht.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie und aus welchem Grund die
Zeichnungen nach St. Petersburg gelangt sind. Im Januar 1744 kam Johann
Elisabeth nach Russland zusammen mit ihrer Tochter, der
künftigen
russischen Kaiserin, die sich mit dem russischen Thronfolger, dem
Großfürsten Pjotr Fjodorowitsch (Karl Peter Ulrich),
dem Sohn von Herzog Karl Friedrich von Holstein und Anna, der Tochter
von Peter I, vermählen sollte.
Kurz nach der Hochzeit, die am 21. August 1745 stattfand, war Johanna
Elisabeth faktisch aus Russland ausgewiesen, da ihre Intrigen zugunsten
von Preußen die Kaiserin Elisabeth gegen sie aufgebracht
hatten.
Man hatte ihr nicht nur die Rückkehr nach Russland, sondern
auch den
Briefwechsel mit ihrer Tochter verboten. Katharina, die zur Ehefrau des
russischen Thronfolgers und später selbst Kaiserin wurde, hat
ihre
neue Heimat nie verlassen. Also mussten ihr die Zeichnungen des
Dornburger
Schlosses aus Dornburg zugeschickt worden sein, allerdings nicht von
ihrer
Mutter. Wahrscheinlich hat Katharina selbst sie in der Zeit ihrer
Regierung
(1762-96) angefordert, als der Erfüllung ihres Wunsches nichts
mehr
im Wege stehen konnte.
Das sind nur die Vermutungen. Wir hoffen, dass weitere Forschungen in
Russland wie in Deutschland Antworten auf diese und andere Fragen
bringen werden, die mit den Zeichnungen des Dornburger Schlosses in der
Eremitage verbunden sind.
Smirnov G. K., Der Gouvernementsarchitekt von Twer, Fjodor
Fjodorowitsch Stengel // Werkarchiv - 2000. Moskau 2001, S. 146. Noch
früher habe ich diese Vermutung in meinem Vortrag am
Stengel-Symposion
im September 1999 in Saarbrücken geäußert.
Staatliche Eremitage. Graphische Abteilung. Inv. Nr.
23598-23602.